Dienstag, 6. Oktober 2009

Abstand wahren.

Allen Neidern zum Trotz: mir war es vergönnt, ganze vier Wochen Abstand vom Alltäglichen zu nehmen. Keine Nachrichten, kein Fernsehen oder Radio, keine Zeitungen, keine Emails, ja selbst keine Anrufe (abgesehen von wenigen privaten Kontakten, in denen man sich gegenseitig vergewisserte, dass alles in Ordnung ist). Nicht fern der Zivilisation, aber doch irgendwie außerhalb des alltäglichen Lebens. Viel Natur, viel Bewegung, kein Lärm, viel Zeit zum Nachdenken. Sicherlich ist in dieser Zeit weltweit viel passiert. Aber, habe ich etwas versäumt? Relativiert sich nicht manches Ereignis, verliert es nicht an Bedeutung, wenn man es mit zeitlichem Abstand betrachtet? Und mit wie wenigen Dingen man auskommen kann. Wichtig ist plötzlich nur noch das wirklich Lebensnotwendige.

Ich habe viele Menschen getroffen, die fern dieser hektischen Welt in ihrem eigenen Kosmos leben und nicht unbedingt unglücklich schienen. Zugegeben, ich könnte so längere Zeit nicht leben. Dafür bin ich zu sehr ein Stadtmensch und dem Komfort nicht abgeneigt. Deshalb ist dies auch kein Aufruf zum endgültigen Ausstieg, allenfalls ein Aufruf zu einem zeitlich begrenzten Abstandnehmen vom allzu Alltäglichen.

Wer nach dieser Zeit wieder eintaucht in diese Welt, der kann nur erstaunt sein. Wer darüber hinaus, wie ich, so unvermittelt in einer Weltmetropole „zurück“ kommt und wieder „eintaucht“, der empfindet dieses Zurückkommen sicherlich noch stärker. Der Kontrast ist zu groß. Wo soeben noch kleine Einheiten vorherrschten, wo jeder jeden kannte, jeden freundlich grüßte, da herrscht plötzlich Anonymität und hektisches Treiben vor. Wer sich unvermittelt in den U-Bahn-Schächten einer Weltstadt wiederfindet, dem können die wie ferngesteuert wirkenden Menschen, verloren in ihrer eigenen Gedankenwelt, nicht entgehen. Da bewegen sich Massen durch die Gewölbe mit geradeaus ins Leere gerichteten Blicken, in Gedanken zwischen Nirgendwo und den alltäglichen Sorgen im Beruf oder in einer privaten Beziehung. Tagein. Tagaus. Wer diese Menschen als plötzlich Außenstehender beobachtet, dem können nur Bedenken kommen.

Handeln wir zu automatisiert? Wissen wir überhaupt, was wir tun? Sind wir uns dessen bewusst, wie wir leben? Lebt nicht so mancher wie ein Hamster im Rad, der immer nur läuft und läuft und läuft, ohne auch nur einmal innezuhalten, sich zu überlegen, was er macht, ob er es gut macht, es besser oder anders machen könnte? Es könnten durchaus Zweifel aufkommen. Machen wir nicht automatisch Dinge, die – mit Abstand betrachtet – überhaupt nicht wichtig sind, auf die wir durchaus zwischendurch mal verzichten könnten?

Eine Auszeit nehmen könnte nicht nur helfen neue Kräfte zu sammeln, sondern auch neue Einsichten zu gewinnen. Es gehört nicht einmal Wagemut dazu. Es ist auf jeden Fall einen Versuch wert.