Freitag, 7. August 2009

Motivationsfallen: Wenn Ausnahmen nicht möglich sind.

Sonja arbeitet seit gut einem halben Jahr in der Marketingabteilung. Die Arbeit macht ihr Spaß, nur das Gehalt ist branchenüblich niedrig. Und da sie noch sehr jung ist erst recht. Sie gilt als zuverlässig, hat sich schnell an ihrem neuen Arbeitsplatz zurecht gefunden, kommt gut bei ihren externen Gesprächspartnern sowie ihren Kollegen und Kolleginnen an. Auch ihr Chef ist zufrieden.

Da sie alleinstehend ist kommt es nicht darauf an, abends pünktlich den PC herunterzufahren. Die Firma ist beinahe schon ihr zweites Zuhause. Mancher Arbeitstag hat mehr als zehn Stunden. Dass sie so jede Woche überdurchschnittlich viele Überstunden auf ihrem Konto ansammelt, stört sie nicht sonderlich. Kürzlich hat man sie sogar nachdrücklich gebeten, ihre Überstunden an einigen zusammenhängenden Tagen abzubauen. So weit so gut.

Das Unternehmen, Teil eines international arbeitenden Konzerns, beschäftigt auch Mitarbeiter, die nur für relativ kurze Zeit am Hauptsitz zu tun haben. Um diesen Mitarbeitern die am Standort nicht leichte und letzten Endes auch unnötige Wohnungssuche zu ersparen, hat das Unternehmen vor langer Zeit in eine Immobilie investiert und diese in ein Gästehaus umgewandelt, in dem sich recht angemessen wohnen lässt. Die Miete ist nicht übermäßig hoch. Für die Reinigung des Apartment und der Wäsche ist gesorgt. So haben die Mitarbeiter Zeit genug, sich ihren eigentlichen Aufgaben zu widmen. Und das sollte dem Unternehmen nicht schaden.

Auch Sonja lebt in diesem Personalhaus. Bei ihren langen Arbeitstagen genießt sie es, dass ihre Unterkunft nur wenige hundert Meter vom Arbeitsplatz entfernt ist und ihr ein gewisser Teil der lästigen Hausarbeiten abgenommen wird. Und einsam muss sie sich in diesem Haus auch nicht fühlen. Bis hierin: perfekt.

Obwohl in diesem Gästehaus immer das eine oder andere Zimmer frei ist, möchte der Personalleiter, dass sie sich eine andere Unterkunft sucht. Schließlich sei von Beginn an nur eine begrenzte Verweildauer vereinbart gewesen. Dagegen kann zunächst nichts eingewendet werden. Zwar hat Sonja noch von einem anderen sogenannten Ausnahmefall selbst langjährigen Verbleibs gehört, aber dafür mag es auch gute Gründe geben.

Das Gespräch mit ihrem unmittelbar Vorgesetzten beim Personalleiter fruchtet nicht. Dass sie viel arbeite und am Monatsende doch wenig übrig bleibe, das verfängt nicht. Man könne eben keine Ausnahmen zulassen.

Sonja ist enttäuscht. Sie dachte, wenn sie schon so viel arbeitet und dem Unternehmen entgegen kommt, dann könne doch auch das Unternehmen ihr ein wenig entgegen kommen. Nein, das könne man nicht. Es sei so vereinbart. Eine Ausnahme gäbe es für sie nicht. Allenfalls könne man noch einen Monat hinzugeben.

Unsere Mitarbeiterin sieht nur noch den Weg, den Geschäftsführer einzuschalten. Kein leichter Weg, fühlt sich der Personalleiter mit Sicherheit übergangen. Dennoch, ein Versuch, eine kurze Notiz, ist es allemal wert. Der Geschäftsführer mag ihren Argumenten folgen und willigt ein, dass sie noch ein weiteres Jahr im Personalhaus wohnen bleiben darf.

Was nun passiert ist durchaus menschlich. Sie hat sich sicherlich beim Personalleiter nicht beliebt gemacht. Dieser spricht den Geschäftsführer an, der Sonja daraufhin unmittelbar rufen lässt. Nun steht Sonja vor zwei gestandenen Männern, die sich zudem über viele Jahre kennen und schätzen. Kurz: sie hat keine Chance. Der Geschäftsführer wirkt sogar unwirsch, dass er sich mit dieser (für ihn) Lappalie überhaupt auseinander setzen muss. Aus diesem Gespräch geht Sonja mit hängendem Kopf heraus. Für sich hat sie lediglich nochmals zwei weitere Monate herausgeschlagen.

Was heißt das nun für das Unternehmen? Es hat seine Richtlinien gelebt, es hat (neben der bereits gemachten) keine weitere Ausnahme zugelassen, lässt dafür ein Apartment möglicherweise leer stehen.

Und Sonja? Sie hat einen Teil ihrer Arbeitsbegeisterung verloren. Sie wird demnächst etwas mehr auf ihren Arbeitsvertrag achten, weniger Überstunden ableisten. Schließlich braucht sie die Zeit, um eine Bleibe zu finden. Da diese Wohnung sicherlich mehr kosten wird als ihre derzeitige Unterkunft und da sie ihrer Meinung nach gute Arbeit leistet, dürfte der Inhalt des nächsten Personalgespräches bereits feststehen.

Sollte es hier gar zwei Verlierer geben? Wie hätte es noch laufen können?

Sonja hätte den Personalleiter, gegebenenfalls nochmals über ihren Vorgesetzen, mit ihren sicherlich stichhaltigen Argumenten versuchen können zu überzeugen und dann erst darauf hinweisen können, dass sie es auch einmal beim Geschäftsführer probieren könnte. Nachdem sie die Notiz an den Geschäftsführer versandt hatte, wäre eine gewisse mentale Vorbereitung auf alle Eventualitäten hilfreich gewesen. Das hat sie unterlassen.

Einerseits ist das Gefühl des Personalleiters, gleich zweimal übergangen worden zu sein, ebenso verständlich wie seine anschließende Reaktion. Andererseits hätte man, Ausnahme hin, Ausnahme her, etwas mehr Flexibilität von ihm erwarten können. Sogar ein Kompromiss wäre denkbar gewesen. Ein Aufenthalt im Personalhaus wird solange zugestanden, wie kein Bedarf besteht. Keiner hätte sein Gesicht verloren. Und Sonja hätte dies sicherlich gut akzeptieren können.

Der Geschäftsführer reagierte wie viele seiner viel beschäftigten Kollegen: spontan. Natürlich wollte er diesen Fall umgehend gelöst haben und nicht in einigen Tagen nochmals auf seinem Terminkalender finden. Das ist positiv. Mit seiner ersten wohlmeinenden Reaktion und direkten Antwort aber hat er seinen Personalleiter übergangen. Während des Gespräches mit dem Personalleiter hat er wiederum ein wenig zu spontan reagiert, als er Sonja rufen ließ. So hatte sie keine Gelegenheit, sich vorzubereiten.

Insgesamt hätte also ein wenig mehr Spontaneität, ein direktes Gespräch mehr, viel zur Entspannung der Situation beigetragen. Das nächste Mal besser?

Das Betriebsklima in diesem Unternehmen ist gut. Die Beteiligten arbeiten daran, dass es auch so bleibt. Und dennoch zeigt dieser Fall, wie leicht es sein kann mit recht belanglosen Aktionen und Reaktionen Mitarbeiter ungewollt zu demotivieren.